Zwangsarbeiter

Die Last einer Erbschaft

(Quelle:Die Welt vom 18.11.1999, Autor: Ralf Eibl)

Wie die Stadt Plettenberg mit ihrer Zwangsarbeiter-Geschichte umgeht

Im Oktober 1981 steigt der Stadtarchivar Martin Zimmer auf den Boden des Plettenberger Amtshauses, um „ein wenig aufzuräumen“. Als er wieder auftaucht, muss die Geschichte der 30 000 Einwohner zählenden Gemeinde im Sauerland neu geschrieben werden. Zimmer hatte gefunden, woran sich viele ältere Plettenberger nicht mehr erinnern wollten. Von 1941 bis 1945 mussten rund 1500 Zwangsarbeiter in den Betrieben der Stadt schuften. Ihre Lagerbaracken wurden nach dem Krieg abgerissen. Damit verschwanden die Zwangsarbeiter aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt. Zimmer fand die vollständige Kartei der „Arbeitseinsatz-Behörde“. Jede der 1500 Karten dokumentiert ein menschliches Schicksal: woher ein Zwangsarbeiter kam, wie lange er wo in Plettenberg arbeitete, wann er flüchtete, wann er wieder gefangen wurde, wann er gehenkt, wann er entlassen wurde.

Mehr als 50 Plettenberger Firmen beschäftigten damals Zwangsarbeiter. In den großen Betrieben, wie im Ohler-Eisenwerk, arbeiten bis zu 250 Menschen. Die Zwangsarbeiter stellen beispielsweise Panzerketten her. Oder beheben Hochwässerschäden. Am 4. Juli 1941 fordert der Beigeordnete der Stadt auf einem Vordruck beim Arbeitsamt Lüdenscheid 120 russische Kriegsgefangene als Bauarbeiter an. Sie sollen „Kiesmassen aus Wiesen beseitigen“.

Die Zwangsarbeiter-Kartei: Für die einen Plettenberger ist sie ein lästiger Fund, für andere, ist sie eine Chance, die Stadtgeschichte neu aufzuarbeiten. Eckhardt Brockhaus gehört zur zweiten Kategorie. Der Psychologe ist auf Spurensuche, seitdem sich 1995 Nikolai Brobow aus der Ukraine meldete. Der ehemalige Zwangsarbeiter schrieb an die Firma Brockhaus Söhne Gmbh & Co. KG, seinen Arbeitgeber von 1942 bis 1945, weil er eine Bescheinigung für die ukrainische Rentenbehörde brauchte. Eckhardt Brockhaus, der vier Prozent der Anteile an dem Schmiedeunternehmen in sechster Familiengeneration hält, begann danach zu forschen, wovon ihm sein Vater nie erzählte. „Fast drei Jahre lang profitierte die Firma meiner Familie massiv von rund 100 Zwangsarbeitern aus Russland und der Ukraine.“

Brockhaus will die Zwangsarbeiter schnell und unbürokratisch entschädigen. Doch die Gesellschafterversammlung des Unternehmens, das heute mit 1200 Mitarbeitern fast 330 Millionen Mark erwirtschaftet, weist jegliche Forderungen entschieden zurück. Die leidige Sache mit der eigenen Firmenvergangenheit wird an den Arbeitgeberverband Ruhr/Lenne übergeben. Er soll die Interessen, der Firmen in der Region vertreten, die Zwangsarbeiter beschäftigten. Man fürchtet in das Visier amerikanischer Anwälte zu geraten. Mit vier seiner Geschwister hat Brockhaus wegen seiner Entschädigungsinitiative seit Monaten kaum geredet.

Im August 1999 fährt Brockhaus in die Ukraine und erstellt mit der Hilfe der Moskauer Hilfsorganisation „Memorial“ eine Liste mit 315 Namen und Adressen noch lebender Plettenberger Zwangsarbeiter. Brockhaus regt einen Hilfsfonds an, in den alle Bürger und Betriebe der Stadt einzahlen könnten, um den noch Lebenden einen sorgenfreien Lebensabend zu garantieren. Für fünf Familien von Zwangsarbeiter, die bei Brockhaus Söhne arbeitete, sorgt er selber. Bisher hat sich noch kein Plettenberger gemeldet, der in den Fond einzahlen will.

Auf dem alten Ohler Friedhof, einem Stadteil Plettenbergs, erinnern zwanzig Tafeln und ein Obelisk, der sogenannte „Russenstein“, an die verstorbenen Plettenberger Zwangsarbeiter. 20 sind hier begraben. Als Plettenberger Grundschüler kürzlich eine der Grabplatten reinigten, kommentierte einer: „Mit 18 stirbt man doch nicht“

..wird fortgesetzt…

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© M.Schmellenkamp
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